Fraktionserklärung: Wahrung der Grundrechte auch in Zeiten von Corona

Es hat wehgetan, den 1. Mai dieses Jahr nicht zusammen mit Zehntausenden ähnlich gesinnten Mitmenschen auf der Strasse zu begehen. Denn aus sozialdemokratischer Sicht findet Politik im öffentlichen Raum statt. Dort hat es Platz für Diskussionen und menschliche Nähe. Diskussionen über die kommende schwierige wirtschaftliche Situation, welche wir zusammen angehen müssen. Miteinander und Solidarität bedeutet aber auch, sich am diesjährigen 1. Mai eben leider nicht in grossen Menschenansammlungen zu treffen, sondern für einmal die Aktivitäten in die eigenen vier Wände und ins Netz zu verlegen.

 

Dabei sind die Forderungen der Gewerkschaften gerade in diesem Jahr besonders wichtig. Wer voll arbeitet soll auch davon leben können. Dazu gehören angemessene Löhne, faire Arbeitsbedingungen (insbesondere gesundheitliche Aspekte), die Einhaltung von Arbeitsrechten und Chancengleichheit. Der Mensch soll im Zentrum stehen und nicht einzelne Teilbereiche des Zusammenlebens. Solche Botschaften müssen auf die Strasse gebracht werden dürfen, zu Zeiten der Corona-Krise jedoch nicht in grossen Menschenaufläufen, sondern BAG-konform. Der Bundesrat war in seinen Vorgaben deutlich: wer maximal zu fünft unterwegs ist und die Abstandregeln einhält, hat nichts zu befürchten. Dabei darf man sich auch lautstark äussern oder Transparente aufhängen. Wieso dies genau am 1. Mai nicht möglich sein soll, erschliesst sich nicht.

 

Leider findet auch dieses Jahr eine öffentliche Debatte im Nachgang zum 1. Mai einmal mehr fast schon reflexartig beinahe ausschliesslich über den Polizeieinsatz statt. Das Vorgehen der Polizei und die zuvor getroffenen politischen Entscheide kritisieren wird. Dreh- und Angelpunkt ist die Weisung der Oberstaatsanwaltschaft, welche das Recht auf physische Präsenz im öffentlichen Raum im Zusammenhang mit politischen Willensäusserungen rigoros als Widerhandlung gegen das Veranstaltungsverbot darstellt. Dies zieht bei Nichteinhaltung einen Eintrag im Strafregister nach sich – im Gegensatz zur Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration oder einem Verstoss gegen das Versammlungsverbot, was als Übertretung geahndet wird. Durch diese Anwendung werden die Grundrechte der Zürcherinnen und Zürcher, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäusserung, massiv verletzt.

 

Kritik äussern wir auch gegenüber den Bundesbehörden, welche es unterlassen haben, das Versammlungsverbot in Bezug auf politische Zusammenkünfte zu präzisieren. Hier muss so rasch wie möglich nachgebessert werden.

 

Es ist fragwürdig, weshalb die Stadtpolizei die erwähnten Bestimmungen als Leitfaden aufgenommen und den möglichen Handlungsspielraum nicht ausgenützt hat. Kleindemos wären gesetzeskonform gewesen. Weshalb hat sich die Stadtpolizei dennoch auf eine Nulltoleranz-Strategie festgelegt? Aufgrund verschiedener Augenzeugenberichte hielten die spärlichen Teilnehmenden im öffentlichen Raum die aktuell geltenden Distanz- und Hygieneregeln ein. Es ist unverständlich, weshalb die Polizei bspw. am Bellevue die Taktik „Einkesselung“ wählte, welche in Zeiten der Corona-Krise die BAG-Empfehlungen, insbesondere die Distanzvorschriften, nicht umsetzen lässt und so im Gegenteil grössere Menschenansammlungen fördert und dabei die Gesundheit aller gefährdet.

 

Die SP-Fraktion wünscht sich eine Polizei, welche ihre Einsätze verhältnismässig und mit Augenmass durchführt und darin auch von ihrer Führung unterstützt wird. Die gewählte Nulltoleranz-Strategie unter Missachtung der Distanz- und Hygieneregeln setzt ein schlechtes Zeichen – sowohl hinsichtlich der eigenen Mitarbeitenden als auch gegenüber denjenigen Zürcherinnen und Zürchern, welche politische Botschaften auf die Strasse bringen wollen.

 

Es darf nicht sein, dass Anliegen nach besseren Arbeitsbedingungen im öffentlichen Raum strikte unterbunden werden. Es ist stossend, wenn Direktbetroffene vor dem Rathaus von einem polizeilichen Grossaufgebot daran gehindert, ja sogar dafür bestraft werden, ein Banner mit diesen Forderungen aufzurollen. Positiv zu erwähnen ist aber immerhin, dass der Polizeieinsatz unter Einbezug der politischen Vorwürfe ausgewertet werden soll.

 

Es sei daran erinnert, dass Solidarität nicht deren einseitige Einforderung bedeutet, sondern gegenseitige Unterstützung von uns allen. Unterstützung nicht nur in Form von Applaus von den Balkonen, sondern auch in Form von konkreten politischen und wirtschaftlichen Massnahmen. Die damit einhergehenden verschiedenen, wichtigen Forderungen müssen im öffentlichen Raum Platz haben – gerade auch in schwierigen Zeiten.

 

 

Weitere Auskünfte:

 

Sarah Breitenstein, SP Gemeinderätin, Tel. 079 473 23 07

Davy Graf, SP Gemeinderat, Fraktionschef, Tel. 079 307 19 86

 

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